Zero Erfahrungen? Der McLaren 650s in Hockenheim

“Do you have any racing experience here in Hockenheim?” fragt mich der Mann von McLaren, der uns für Autos und Slots einteilt. Nachdem fast alle anderen Teilnehmer zu meinem Erschrecken sofort mit “Yes” geantwortet hatten, zögere ich kurz. Ich hatte ja hunderte DTM-Einsätze und zig souveräne Formel-1-Siege hier auf dem Kurs – aber leider ausschließlich auf der PS3. Meine Ehrfurcht war zu groß und das Ego zu klein, um die Frage einfach zu bejahen. Ich bin also ehrlich und gebe „Gran Turismo“ als Quelle meiner Fahrpraxis zu Protokoll.

Einige Unterschriften später finde ich mich zu meiner Verblüffung trotzdem auf dem linken Vordersitz eines McLaren 650S wieder. Mit Helm auf dem Kopf an der Flügeltür vorbei in die Carbon-Monocell einfädeln und den Allerwertesten dabei möglichst elegant in den Sportschalensitz zu stopfen… da half es schon sehr, dass ich kein Lenkrad vor mir hatte. Denn erstmal galt es, das rund eine Viertelmillion Euro teure Supercar von der britischen Beifahrerseite aus kennenzulernen.

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Der 650S basiert technisch auf seinem Vorgänger MP4-12C, mit dem er sich auch das kohlefaserverstärkte Kunststoff-Chassis teilt. Es ist eine Binsenweisheit, von einer lupenreinen Fahrmaschine zu sprechen. Doch wenn man erstmal darin Platz genommen hat, dann spürt man auch hormonell sofort, was „Fahrmaschine“ heißt! Ein Kampfjet auf Rädern.

Der Dreikommaacht Liter V8-Biturbo sitzt knapp vor der Hinterachse, die von 650 Pferden über ein 7-Gang-Doppelkupplungsgetriebe mit „ausreichend“ Vortrieb versorgt wird. Rund 1,4 Tonnen Leergewicht werden bei bis zu 678 Nm Drehmoment in nur drei Sekunden von null auf hundert geschossen. Vorausgesetzt, der 650S bringt die Kraft von der Kurbelwelle auch auf den Fahrbahnbelag. Womit wir beim wichtigen Thema Reifen wären.

Alle McLaren sind von Geburt an mit dem Pirelli P-Zero ausgestattet. Den gibt es – rechtzeitig zum 40. Jubiläum der Produktmarke – aktuell in einer neuen Version, die allerhand Raffinessen bietet. Beispielsweise den F1 Wulst, der ein optimales Verteilen der Seitenführungskräfte auch bei hohem Tempo gewährleisten soll. Ob ich wohl je ausreichend Speed erreichen werde, um den feinen Unterschied mit dem Popometer zu spüren?

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Es geht mit dem Instruktor am Volant hinaus auf die Strecke. Die erste Runde dient dem Aufwärmen der Reifen. Kenn ich, hab ich schon im Fernsehen und auf der PS3 erlebt. Aber hier lerne ich noch was: das Aufwärmen geschieht anfangs mitnichten nur über Reibung, sondern zum weitaus größeren Teil über die Temperatur der Bremsen! Wer zu wenig bremst, kann sich schnell seine Reifen „unterkühlen“. Genau aus diesem Grund möchte man nicht anstelle von Bernd Mayländer im Safety Car der Formel 1 sitzen, wenn genervte F1-Piloten über Funk ein höheres Tempo bei Einführungsrunde oder auch in Safety-Car-Phasen anmahnen. Denn was für den AMG GTS mit den Lichtern auf dem Dach schon recht flott sein mag, lässt die ihm folgenden F1-Boliden, ihre Bremsen und die P-Zeros ziemlich kalt.

Dabei geht es nicht allein um das optimale Temperaturfenster der Gummimischung und ihre daraus resultierenden Hafteigenschaften, sondern auch um den sich verändernden Reifenluftdruck und damit um die Reifengeometrie. Wer in seinem normalen PKW eine Reifendruckkontrolle besitzt, kann das live im Kombiinstrument verfolgen: zwischen kaltem Zustand bei Fahrtantritt und Betriebstemperatur nach einigen flotten Landstraßenkilometern steigt der Druck in den Reifen nicht selten um fast ein halbes bar an. Das wiederum hat zwingend Folgen für die kinetischen Eigenschaften der Pneus. Kommen dann noch klimatische Veränderungen seit der letzten Überprüfung des Luftdrucks (meist ja der Zeitpunkt des Räderwechsels zu Beginn der Saison) hinzu, kann man schnell um bis zu 1 bar falsch liegen. Es lohnt sich, als Autofahrer da mal wieder einen Blick drauf zu haben, gerade an besonders heißen oder kühlen Tagen!

Die Jungs von McLaren haben das selbstverständlich im Blick. Die Reifendrücke werden alle paar Stints akribisch geprüft und richtiggestellt. So auch jetzt beim Seitenwechsel der Insassen. Nach den Einführungsrunden mit einigen Erläuterungen des Instruktors darf ich endlich selbst auf den Fahrersitz des 650S

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Ein wenig ist das jetzt wie die praktische Fahrschulprüfung. Der Fahrlehrer sitzt neben mir und ein bisschen spüre ich auch, dass er mich nicht unbedingt für den talentiertesten seiner Schüler hält. Das liegt sicher weniger an meiner Sitzposition und Lenkradhaltung, denn die habe ich gerade erst vorbildlich bei einer „Driving Academy“ verinnerlichen können, sondern weil ich anfangs wohl doch zu tief gestapelt habe mit meiner Erwähnung der Playstation als „einzige“ Vorkenntnis.

Nun muss ich „Noob“ die Konsequenzen tragen: schon gefühlte 200 Meter vor den eigentlichen Bremspunkten werde ich vom Profi zum beherzten Auswerfen des Karbon-Keramik-Ankers gemahnt. Und wenn ich die empfundene Langsamkeit durch frühes Beschleunigen aus der Kurve heraus kompensieren will, so hält mich ein extrem konservativ eingestelltes ESP davon ab. Der 650S nimmt das Gas praktisch erst an, wenn das Lenkrad nahezu in Null-Stellung zurückgedreht ist. Erst dann bekommt man einen ungefähren Eindruck seiner Kraftentfaltung – und schon soll ich wieder bremsen.

Aber: der Mann hat ja recht! Was ich da für langsam halte ist beim Blick auf den Tacho doch schon eher wahnsinnige Geschwindigkeit. Einzig: im 650S merkt man trotz tiefer Sitzposition nicht allzu viel davon! Der Wagen liegt so satt auf der Fahrbahn, die Schalensitze erlauben keinerlei Spiel, die Helme schlucken einen Großteil der Geräuschkulisse und die Pirellis sind auch nach der Sachs-Kurve noch gutmütig, sodass sich dann eben doch ein trügerisches „Playstation“-Fahr- und Sicherheitsgefühl einstellt.

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Diese Spielkonsole hier hat allerdings ein ziemlich nachhaltiges Schadensmodell im Falle des Abfliegens. Deshalb die Vorsicht. Dennoch erlaubt mir mein Instruktor nun von Runde zu Runde mehr Risiko. „Very good, Joe-Hannes!“ tönt es nach jeder sauber getroffenen Kurvenlinie über das Interkom im Helm. Ich darf sogar endlich spät bremsen, und DAS ist RICHTIG geil im McLaren-Monster!

Zum Beispiel am Ende der Start-Ziel-Geraden, wo man gerne länger schnell sein möchte. Da ist das fast schon „digitale“ Pedalgefühl einer Keramikbremsanlage dieses Kalibers göttlich. Natürlich kein Fading, kein Rubbeln, kein Ziehen in der Lenkung, keine Geräusche – einfach nur ein stufenlos kräftiges Zubeißen, unterstützt von der blitzschnell hochschnellenden „Air Brake“ des Heckspoilers. Dann kurz vorm Einlenken die Bremse aufmachen, Blick zum angepeilten Kurvenausgang, dabei mit möglichst hohem Tempo und wenig Lenkintervention zum Scheitelpunkt steuern, sich in sauberer Linie „von der Fliehkraft“ wieder raus bis fast in die Auslaufzone ziehen lassen und dem Monster im Heck dabei so früh wie möglich die Sporen geben! Der Brite hinten faucht und der Brite auf dem Beifahrersitz sagt: „Perfect, Joe-Hannes!“

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Ich soll sogar die Kerbs mitnehmen. Was ungewöhnlich ist für eine Testfahrt wie diese. Denn die soll uns ja auch von den überragenden Eigenschaften des neuen P-Zero überzeugen, aber kaum etwas macht dem Pneu schneller den Garaus als die ständige Mitnahme der Randsteine. Einen Räderwechsel habe ich hier den ganzen Nachmittag noch nicht gesehen. Aber bitte gerne, ich gebe zu vorgerückter Stunde gerne noch den Reifen den Rest, wenn ich dafür schneller durch die Kurven komme!

Wir haben unseren Spaß: sowohl der 650S, ich sowieso, zunehmend auch der Instruktor neben mir und offenbar auch die vier P-Zeros unter uns. Die sind auch dann nicht ernsthaft beleidigt, als ich es schließlich doch etwas übertreibe. Wir kommen mit deutlich über 200km/h auf das Nadelöhr am Ende der Parabolika zugeflogen. Ich ignoriere lange die Handzeichen des Instruktors und bremse bewusst spät und fest. Der McLaren verzögert auch hier wieder erwartungsgemäß wie von einem Stahlseil gehalten, die Reifen werden etwas laut, aber machen die Maximalbelastung zuverlässig mit. Weil wir aber dann doch etwas spät dran sind für meine optimale Ideallinie mache ich die Bremse einen Bruchteil einer Sekunde zu früh auf und lenke hart ein – und schon stehen wir fast quer im Drift. Welch eine Gaudi! Hätte das ESP ich gelassen, ich hätte uns gerne über das Gaspedal in stabilem Drift gehalten. Ging leider nicht – und wäre auch nicht im Sinne meines Fahrlehrers gewesen.

Am Ende meines Stints bin ich durchgeschwitzter als vermutet, habe aber ein gutes Gefühl, was meine zukünftige Karriere als Rennfahrer angeht. Doch dieses neugewonnene Selbstvertrauen hält nur wenige Minuten an. Nämlich exakt bis zur abschließenden Mitfahrt mit meinem Instruktor im McLaren 570S, dem „kleinen Bruder“ unseres vorherigen Boliden. Die Beschreibung dieser Mitfahrt erspare ich mir und euch aus zeitlichen wie dramaturgischen Gründen. Sie würde alles zuvor Beschriebene vor allem hinsichtlich meiner Fahrtalente stark relativieren 😉

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