Zeitreise: VW Polo Baujahr 1977

Du bekommst einen dürren, kleinen Schlüssel in die Hand gedrückt. Das Gewicht des Schlüsselanhängers mit der Inschrift: “Volkswagen Classic” wiegt schwerer in der Hand, als der Original-Schlüssel für diesen besonderen Testwagen alleine. Es ist der Auftakt zu einer Testfahrt die anders ist.

Früher war alles besser

Volkswagen Polo – Zeitreise im 37 Jahre alten VW Polo

Klein, zierlich und fragil parkt der erste Polo zwischen seinen jungen Enkeln. Eigentlich sollte es bei diesem Termin ja um dessen Überarbeitung gehen – doch die Vergangenheit lockt. Erinnerungen wollen aufgefrischt werden. Mit einfachen und klaren Linien, ganz wie bei der ersten Ausführung des größeren Bruder (der Golf, das Auto) hat der italienische Designer Giorgio Giugiaro den ursprünglich als Audi 50 konstruierten Kleinwagen gezeichnet. Spindeldürre A-Säulen, schmale Stoßstangen aus Chrom und ein schlichter Kunststoff-Kühlergrill mit zwei runden H4-Scheinwerfern. Sein Design ist frei von Spielereien, nüchtern wie der Papst am Sonntag-Morgen.

Es waren wilde Zeiten damals und bei VW brauchte man einen Nachfolger für die aus dem Programm gefallene günstigsten VW Käfer-Variante. Und so wurde der kleinste Audi, quasi über Nacht zu einem Volkswagen. Es war im Prinzip auch der Beginn der Mehrmarken-Strategie, basierend auf der gleichen Technik. Im Gegensatz zum Audi 50 wurde der erste Polo noch einmal um unnötigen Luxus befreit. Die Türverkleidungen waren so preiswert, wie sie sich auch heute noch anfühlen.  Der abschließbare Tankdeckel, eine Sonderausstattung gegen Aufpreis. Das Frischluftgebläse zweistufig? Gegen Aufpreis. Einen rechten Außenspiegel? Am Anfang gar nicht lieferbar. Der VW Polo war schlicht, einfach und absolut nicht aufregend.

VW Polo erste Generation Cockpit Armaturenbrett

Zeitreise – Der Geruch von früher.

Echte Türgriffe, mit einer kleinen Chromspange und beim betätigen spürt man die Mechanik dahinter arbeiten. Der Ur-Polo vermittelt bereits bevor man los gefahren ist, diese vertraute Gefühl von Technik die man versteht. Wer auf den putzigen Velour-Sitzen Platz nehmen darf, fühlt sich wie im Gewächshaus. So viel Glas, so viel Licht von außen, so eine geniale Rundumsicht. War früher nicht einfach alles so viel besser? Parkpiepser? Dieses Auto brauchte das so wenig wie den rechten Außenspiegel.

Das spindeldürre Lenkrad liegt unwirklich in der Hand. Ein Dreh am Zündschlüssel weckt den 1-Liter Vierzylinder-Vergasermotor auf, er meldet sich murrig mit leicht nasaler Stimme zu Wort. Kupplung, Gaspedal, Lenkung ohne Servo. Auto zu fahren ist in diesem 37 Jahre Polo eine sehr direkte Arbeit. Doch das Abgas-Parfum des Kat-freien Motors sorgt für einen Geruch, der einem im Kopf sofort die Bilder von damals hervorholt. Die ersten Kilometer im ersten eigenen Auto. Es gibt Erfahrungen die werden zukünftige Generationen nicht mehr machen dürfen. Wann schiebt man den Choke wieder vollständig rein? Ist der süßliche Duft des zu fett laufenden Motors eine Charaktereigenschaft die man bei heutigen Autos vermisst?  So ähnlich. Es sind ganze Volksweisen die der Geruch des Polos zu erzählen weiß.

Fettes Gemisch, kein Kat und dann der Geruch im Innenraum. Selbsterklärend. Und voller Erinnerungen.

VW Polo Audi 50 Motor 1 liter hubraum

 

Mit den knapp 700 Kilogramm Leergewicht der ersten Polo-Generation hat selbst der nur 40 PS starke Vergaser-Motor leichtes Spiel. Der erste Versuch bei flotter Stadt-Geschwindigkeit den fünften Gang einzulegen, endet jedoch mit leichter Verwirrung. Ach ja, vier Gänge. Die reichten damals völlig aus. Richtig. Und auch den Vierten sollte man nicht zu früh einlegen, der Vergaser-Motor möchte gerne in seinem Drehzahlband nicht zu tief absacken. Sonst verschluckt er sich unwillig und erinnert den Fahrer an den Fortschritt, der später kam. Es sind einfach viele Kilometer, viele Tage und Jahre vergangen. Perfekte Technik? Wir nehmen sie heute als gegeben hin. Der erste Polo mag mürrischer gewesen sein, aus der Sicht heutiger Kleinwagen schon fast eine diffizile Diva, aber er war vor allem ein wirklich praktischer Partner. Eine große Heckklappe, eine umklappbare Rücksitzbank, das freie Raumgefühl dank der großen, steilen, Scheiben.  Zündkerzen wechseln? Kein Problem. Trotz einer Länge von nur 3.50 Metern bot der Polo nicht nur vier Personen Platz, sondern auch einen Motorraum im dem man als Hobbyschrauber noch selbst Hand anlegen konnte. Unfassbar für heutige Verhältnisse, wie leicht man die Glühbirnen aus den H4-Scheinwerfern ausbauen konnte.

Während ich den alten Polo einmal um den Tegernsee fahre, quäkt das Radio aus einem einzelnen Lautsprecher vor sich hin. Eigentlich müsste das Radio noch heute die Hitparade von 1977 spielen – dann wäre die Illusion perfekt. Einzig die drängelnden Mittelklasse-Limousinen im Rückspiegel stören die Zeitreise. Das man ab dem Ortsschild eine kleine Ewigkeit braucht, bist man eine für aktuelle Verhältnisse angebrachte Geschwindigkeit auf der Landstraße erreicht hat, verstehen die anderen Verkehrsteilnehmer nicht.  Nicht mehr. Zu schnell haben wir uns an den Fortschritt gewöhnt und zu schnell haben wir vergessen, wie schön die Zeit damals war. Und wie einfach.

Volkswagen Polo erste Generation fahrbericht

 

Da klingelt bereits wieder das Handy; wo wir denn stecken würden? Der neue Polo wartet, da kann man das Handy dann per Mirror-Link mit dem Multimedia-System koppeln.  Was Mirror-Link ist? ein Kapitel des Fortschritts eben, aber bis wir unsere Zwischenstation erreicht haben, schalte ich das Handy aus, lausche dem trötenden Sound des Vergaser-Motors, streichle das dünne Lenkrad und überlege mir – ob es stimmt:

War damals alles besser?

 

 

Polo – Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/VW_Polo_I
Produktionszeitraum: 1975–1981
Klasse: Kleinwagen
Karosserieversionen: Kombilimousine
Motoren: Ottomotoren:
0,9–1,3 Liter
(29–44 kW)
Länge: 3512 mm
Breite: 1560 mm
Höhe: 1344 mm
Radstand: 2335 mm
Leergewicht: 685–700 kg
Vorgängermodell: keines
Nachfolgemodell: VW Polo II

 

Der erste Volkswagen-Polo – Die Galerie:

 

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